Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Gäste,
Kolleginnen und Kollegen.
Wir
ehren heute eine Tat vor 59 Jahren, in der Heldentum mit Verzweiflung und
Kampfeswille mit Todesverachtung verflochten waren. Der Aufstand im Warschauer
Ghetto ist eine historische Tatsache, zu deren wissenschaftlichen und
allgemeinen Interpretationen, etwa zu der hervorragenden Arbeit von Barbara
Engelkind und Jacek Leociak „Przewodnik
po nieistniejącym mieście”,
ich mir nur zwei Feststellungen hinzuzufügen erlaube: Wenn wir die lange Liste
der Aufstände auf polnischem Gebiet betrachten, erhoben sich zum Kampf nur
dieses einzige Mal ausgemergelte Leute, die täglich dem überwältigenden Druck
der Enthumanisierung, der Einsamkeit, dem mit der Genauigkeit eines Apothekers
durchgeführten Massenmord ausgesetzt wurden. Der tragischste der polnischen
Aufstände war der Januar-Aufstand.
Wir schauen uns die Zeichnungen von Grottger
an: den Aufständischen verabschiedet seine Mutter, segnet sein Vater und
verabschiedet sein Mädchen. Diejenigen, die im Warschauer Ghetto zum Kampf
antraten, hatten weder Vater noch Mutter und kein Mädchen, sie alle waren in
Treblinka umgekommen. Eine Handvoll von Verzweifelten offenbarte sich als
hervorragende Soldaten. Dem Feind wurden Verluste beigebracht, die schwerer
waren als aus den Kräfteverhältnissen zu erwarten gewesen wäre. Meisterhaft
nutzten die Aufständischen die Örtlichkeit des Kampffeldes. Den zukünftigen
Warschauer Aufständischen
zeigten sie den Weg durch die Abwasserkanäle, und wie in den legendären
Termopylen
haben sie sich dem Feind nicht ergeben. Zugleich schufen diejenigen, die sich
entschlossen, dem Herrgott zuvorzukommen,
für die Zukunft ein Zeichen, ein Symbol, ich bezeichne es als „Mythos“ im
besten Sinne dieses Wortes. Es ist kein leichtes Symbol. Den Polen stellte es
die drastische Frage, die Jan Błoński
in seinem berühmten Artikel „Biedni Polacy patrzą na
getto”
mutig
formulierte. Eine Gruppe von Leuten, die ihre Identität in Israel formuliert,
stellte der Tatsache des Aufstandes eine These gegenüber, die besagt, dass erst
der neue Staat im Stande war, die willenlosen Opfer in kämpfende Soldaten
umzuwandeln. Der Diaspora auf der anderen Seite des Ozean stellte und stellt das
Symbol eine Frage: Habt ihr alles getan, um die Maschinerie der Vernichtung
wenigstens zu verlangsamen? Die Antworten auf solche Fragen sind sehr schwierig.
Das Symbol lebt doch, es kehrt zurück, erreicht neue Generationen, inspiriert
Kunstwerke, durchdringt die Lektüren, verbreitet sich auf der ganzen Welt. Für
uns Veteranen ist der Aufstand im Ghetto gleichzeitig ein Zeugnis der Kämpfe
von Juden von September 1939 bis Mai 1945, der Kämpfe von Soldaten und
Partisanen, von Infanteristen und Panzersoldaten an allen Fronten, an denen die
Truppen mit dem Adler
auf der Mütze kämpften. Es gab mehr mit Gewehren während des II. Weltkrieges
kämpfende Juden als tschechische, slowakische, belgische, niederländische und
norwegische Soldaten zusammengerechnet. Schämen wir uns nicht, die tapfersten
Frauen und Männer mit „gefährlichem Aussehen“, die mit ihren Fallschirmen
in den Staat, in dem die Hölle des Holocaust herrschte, absprangen, zu erwähnen.
Und wenn bestimmte Autoren nachforschen wollen, wo es mehr von uns gab: bei
Lenino
oder bei Monte Casino,
bei False oder bei Kolobrzeg, werden wir der Wahrheit entsprechend antworten:
dort, wo man mehr von uns aufnehmen wollte. Zum
Beispiel bei Berling
mehr als bei Anders,
und in der Volksarmee
mehr als in der Heimatarmee,
in Katyn waren es mindestens 800.
Der Eintrag der polnischen Juden in das dicke Buch der Kämpfe hebt die
Bedeutung des Aufstandes im Warschauer Ghetto als ein gleichzeitig heroisches
und tragisches Symbol hervor. Dies wird von dem Ort dieser Epopöe beeinflusst,
nämlich von Warschau. Warschau war Sitz, die gemeinsame Hauptstadt und eine
gemeinsame Aufbauleistung von etwa 900.000 Polen und 400.000 Juden. Warschau war
zu Anfang des XX. Jahrhunderts, vor dem Ausbruch des II. Weltkrieges, von der Fläche
her das zweitgrößte und in mehrfacher Hinsicht das bedeutendste und schöpferischste
jüdische Zentrum in der Welt. In Warschau waren die Juden keine Gäste und
kamen nicht für einen kurzen Gastauftritt, seit mehreren Jahrhunderten
gestalteten sie seinen Wohlstand und seine Geschichte, sein Bild und seine
Atmosphäre. Sie nahmen auf verschiedene Art und Weise an jedem Aufstand,
angefangen bei denen von Kosciuszko
und Kilinski teil, bald wird uns daran
der 100. Jahrestag des Kampfes um die Unabhängigkeit 1905
erinnern. Viele Generationen wirtschafteten hier, nach Kräften und Begabungen
markierten sie eine dauerhafte Spur, es waren ganz verschiedene Juden: reiche
und arme, solche, die jiddisch und solche, die polnisch, auch manch junge
Zionisten, die sogar hebräisch sprachen; Chassiden und Assimilierte, religiöse
und verzweifelte, niemand kann heute die Arbeitsplätze zählen, die das
damalige Warschau den Finanziers, Fabrikanten, Kaufleuten, den Vorreitern der
heutzutage so beliebten kleinen und mittelgroßen Unternehmer, zu verdanken hat.
Ehrenhaft zahlen die Juden ihre Schulden der gemeinsamen Stadt gegenüber ab,
ich erwähne hier die Wawelberg- und Rotwand
– Hochschule, die Schar von Wissenschaftlern und Pädagogen, Rechtsanwälten
und Aktivisten des öffentlichen Lebens und auch die Mitgestalter des unabhängigen
Staates, von dessen Diplomatie und Armee, weiterhin die weltbekannten Kenner des
Talmud und die säkularen Denker, Dichter und Schriftsteller, die hervorragende
Texte in beiden Sprachen verfassten, Ärzte und Journalisten, auch die
ausgezeichneten Handwerker, wie den linken Träumen entsprechend. Minister Peres
sprach gestern über ernste Angelegenheiten, dabei erlaubte er sich einen Witz,
der den Geist Warschaus wiedergibt. Ich erlaube es mir, das damalige Warschau
mit dem Fragment der Aussage eines rechten Satirikers aus Cyrulik Warszawski zu charakterisieren. 1925
fragte er: „Und wo waren gestern die nationalen Abgeordneten? Im Warteraum von
Doktor Kerner. Ihre Frauen schauten sich Pelze bei Apfelbaum an, ihre Söhne
tranken Slivovic und aßen Gänsebraten bei Pikadyla in der Bielanska Straße
und ihre Töchter kauften Leckerbissen beim Hirschfeld.“ Der Vorwurf des
rechten Satirikers schließt etwas ein, worüber niemand, wenn er über den
Charakter Warschaus, der Stadt mit zwei Nationalitäten, die ihren Glanz, ihre
Atmosphäre und ihre Genialität zwei Nationalitäten verdankt, zu sagen und zu
schreiben wagt. Diese Stadt sah die schwarze Version von Sodom, antisemitische
Exzesse, das Schulbankghetto, die Verbreitung von abscheulichen Blättern, die
Ausschreitungen von Fußballfans. Wir erinnern uns aber auch an die Aktivisten
der PPS.
In den letzten Vorkriegswahlen zum Stadtrat gewann die gemeinsame Liste von PPS
und Bund, in den Wahlen zur Warschauer Gemeinde gewann die Liste des Bundes. Es
gibt historische Tatsachen, die manchen in bestimmten Momenten, aus irgendeinem
Grund nicht passen, aber es gab solche Tatsachen und sie zeugen von Warschau.
„Warschau, mein liebstes Warschau, du bist der Inhalt meiner Träume“, sang
kurz nach dem Zweiten Weltkrieg der jüdische Künstler Heis, und mit ihm
zusammen sang dies das ganze Polen. Aber das alte, damalige Warschau gab es
nicht mehr. Der Aufstand im Warschauer Ghetto war ein Trauerakkord, eine
Abschiedssalve. Über das kämpfende Ghetto wurde eine weiß-rote Flagge
gehisst, und die Ghettokämpfer fühlten so, sie fühlten so trotz allem. Haben
sie recht gehabt? Heutzutage, während sich im Heiligen Land der drei Religionen
die Spirale des Todes dreht, die von Hass, vom wahnsinnigen Terrorismus und vom
Strom der kalt investierten „Petro-Dollars“ getrieben wird, zeichnet sich
Polen vor Europa als Hintergrund mit Ruhe und der Absage an Straßenkrawalle
aus, mit Sachlichkeit in den meisten Medienberichten. In diesen Tagen hat Polen
Herrn Peres zu Gast, es meldete seine Bereitschaft zur Veranstaltung einer
Friedenskonferenz an, mit neuer Energie befürwortet es das Projekt des Museums
der Geschichte der Juden in Polen, in Anwesenheit des Präsidenten dankte es den
Gewinnern des Wettbewerbs zwischen Tausenden von Schülerinnen und Schülern zum
Thema Kultur und Geschichte der polnischen Juden. Ich möchte, dankbar allen
polnischen Freunden für ihr Verständnis für die Schmerzen, für die
Zerrissenheit, die wir, die letzten Juden der damaligen Generation, in diesen
Tagen in unseren Herzen tragen, daran erinnern, was am 50. Jahrestag der
Befreiung von Auschwitz der unvergessene Arnold Mostowicz sagte: „Den Menschen
guten Willens zeigen wir die Wahrheit, dass, solange sie sich nicht in der
Ablehnung und Bekämpfung der Sprüche der Hassideologie vereinigen, egal, ob
diese durch Wissenschaft gestützt oder offenbart wurden, und sich nicht in der
Bekämpfung der Bilder und Worte, die eine Apotheose des Verbrechens und der
Gewalt sind, verbinden, die Apokalypse des Bösen die Menschheit weiterhin
bedrohen wird.“
Die Frage, vor der wir, die Zeugen und Teilnehmer
damaliger Ereignisse, am Ende unseres Lebens heute stehen, lautet: „Es hat
sich ereignet, verging es?“ Die Optimisten werden antworten: „Es hat sich
ereignet und es ist schon vergangen.“ Die Pessimisten werden antworten: „Es
hat sich ereignet, aber es verging nicht.“ Am Besten ist es, jeden Tag in
jeder Situation zu untersuchen: „Es hat sich ereignet, aber ist es
vergangen?“ Damit es vergehe, wird die Wahrheit benötigt. Die Wahrheit kommt
unter großer Anstrengung, ich nenne hier nur zwei Beispiele: Trotz seiner
ehrbaren Absicht war derjenige Dichter der Wahrheit nicht gewachsen, der über
zwei Völker schrieb, die von gleichem Leiden gekennzeichnet seien. Gleiches
Leiden gab es nicht, schon aus dem Grund nicht, als die Nazis unterschiedlich mörderische
Pläne gegenüber Juden und Polen entwarfen. Wir sind aber auch verpflichtet,
den Mythos richtig zu stellen, dass jenseits der Ghettomauern und der
Vernichtungslager ein normales und ruhiges Leben geführt wurde. Es war anders,
die Vernichtung der Juden fand in einem Staat statt, der blutete und in dem
jeden Tag Leute starben. Deshalb verstehen wir uns am besten und am klarsten mit
unseren polnischen Kollegen aus den Konzentrationslagern, mit Polen, die vom
Unglück der faschistischen Besatzung heimgesucht wurden. Es stimmt, dass es im
Rahmen des in Berlin geplanten Holocaust auch Jedwabne und nicht nur Jedwabne
gab.
Das jüdische Unglück nutzten verschiedene Kriegsgewinnler aus. An jüdischem
und polnischem Unglück bereicherten sich Spitzel. Ja, viele dachten an die
Vernichtung, es überwogen jedoch verschiedene Formen der Gleichgültigkeit. Mit
eigenen Augen sah ich, wie drei Tage nach der Deportation der Juden aus einer
kleinen Stadt nahe Lublin manche Bewohner um die Möbel, Töpfe und Decken der
Juden kämpften, in den Häusern, in denen die Öfen noch nicht erkaltet waren.
Aber auf der anderen Seite haben diejenigen recht gehabt, die sangen: „Wir,
ein Land ohne Quislings und Petains.“ In den Wachtürmen der Todeslager konnte
man neben den deutschen auch faschistische Schergen aus neun Ländern sehen und
nicht einen aus Polen. Ungenügend heben wir hervor, dass, um einen Juden zu
retten, neben außerordentlichem Mut der unmittelbaren Beschützer eine
hilfsbereite Zustimmung vieler nötig war: der Verwandten, der Nachbarn, der zufälligen
Zeugen; denn um aufzufliegen, genügte ein einziger Schuft. Trotzdem wurden in
Warschau doppelt so viele Juden gerettet wie in Paris, wo dafür keine
Todesstrafe drohte. Die Wahrheit tut manchmal weh, bis es richtig schmerzt. Und
gerade sie bestätigt die Richtigkeit der Entscheidung, kraft derer über dem kämpfenden
Ghetto die weiß-rote Flagge flatterte. Die Entscheidung von Artur Rubinstein,
zur Eröffnung der ersten Versammlung der Vereinten Nationen unerwartet für die
Welt die polnische Nationalhymne des dort nicht anwesenden Polen zu spielen. Die
Entscheidung von Leopold Infeld,
dem die besten Universitäten und der Nobelpreis offen standen, der jedoch das
zerstörte Warschau wählte und dessen ruinierte Universität. Wir, die in Polen
lebenden Zeitzeugen, sind dieser Entscheidung treu, aber wir haben das Recht und
die Hoffnung auf die Erwartung, dass in unserer Heimat diese Entscheidung immer
allgemeiner erwidert werden wird.
Übersetzung aus dem Polnischen und kommentierende Fußnoten
von Magdalena Rensmann