
[Zeichen
des Alltags]
Die Frage ist die Antwort
Eine Ausstellung nähert
sich dem
jüdischen Alltag in Deutschland
Schlichter geht es nicht. Eine Leuchttafel mit einem
Piktogramm, auf dem der Umriss eines grünlich schimmernden Stahlhelms
abgebildet ist. Darunter ein Text, der in knappen Sätzen schildert,
dass die Enkel von Verfolgten des NS-Regimes keinen Militärdienst
leisten brauchen aber die Urenkel dieser Generation zur Bundeswehr müssen.
Deutsche Juden werden heute nicht mehr von der Bundeswehr freigestellt
ein Stück Normalität? Andere Tafeln sind ähnlich gestaltet, alle
mit knappen Bildtexten: Was machen deutsch-jüdische Senioren, wie
organisieren sich schwule Juden, wie viele Deutsche treten jährlich zum
Judentum über? Und wie sehen sich junge Juden selbst?
Die Ausstellung Zeichen des Alltags in der Neuen
Synagoge in der Oranienburger Straße, die noch bis zum 20. Mai zu sehen
ist, stellt viele Fragen. Freilich ohne sie zu beantworten; das ist
nicht Sinn des Projekts. Die Leuchttafeln bilden einen scharfen Kontrast
zu den Dauerexponaten im Centrum Judaicum, die das jüdische Leben im
Berliner Scheunenviertel vor dem Zweiten Weltkrieg zeigen. Zwischen
diesen historischen Objekten sind nun also bunte Leuchttafeln
aufgestellt, die vom Ausstellungsbüro x:hibit als
Wanderausstellung konzipiert wurden und im Sommer im Leipziger Bahnhof
präsentiert werden.
Mit den kargen Mitteln der Pop-Ikonographie appelliert
die Schau an die Fantasie der Betrachter. Wir wollen Vorurteile
abbauen. Die meisten Menschen kennen Juden nur aus Geschichtsbüchern
und Museen, sagt Ausstellungsmacher Oliver Lubrich. Bisher dominiere
eine exotisierende, verfremdende Wahrnehmung des Judentums auch wenn
sich immer mehr Menschen dafür interessieren. Die jüdischen Gemeinden
in Deutschland zählen zwar nicht mehr als 80000 Mitglieder, aber die öffentliche
Aufmerksamkeit ist gewaltig, wie Rabbiner Andreas Nachama bei der Eröffnung
am Donnerstag feststellte. Durch den enormen Zulauf jüdischer
Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion habe sich das jüdische Leben
in Berlin stark verändert. Die Bildtexte seien entsprechend in
deutscher und russischer Sprache verfasst. Keiner weiß, wie sich
unsere Gemeinden entwickeln werden, sagte Nachama. Es sei gut, nicht
nur in die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart zu blicken.
Einige Tafeln wirken in ihrer Botschaft fast banal,
ein Effekt, der beabsichtigt ist. Der Betrachter erfährt etwa, dass nur
ein bis drei Prozent der Juden am Sabbat in die Synagoge geht der
Anteil der Kirchgänger dürfte ähnlich gering sein. Doch es gibt eben
auch die alten Vorurteile. Jeden dritten Tag wird in Deutschland ein
jüdischer Friedhof geschändet, steht auf einer Tafel. Die
Versicherungen lehnen Policen für jüdische Gräber aus Furcht vor
Vandalismus ab. Auch das ist ein Zeichen des Alltags, ein
beunruhigendes.
Christian Mayer
[Zeichen
des Alltags]
Jüdisches
Leben in Berlin |