Ein offener Brief an die Redaktion der Tagesthemen
(siehe auch im Forum)
Zum Bericht: Tagesthemen, 8.5.2002
Sehr geehrte Frau Will,
erneut wende ich mich mit einer Kritik an Sie, nachdem ich Sie am 25. April
zu einem verwandten Thema angeschrieben habe.
In o.a. Sendung berichteten
Sie von einer Serie neuer palästinensischer Selbstmordattentate in
israelischen Städten. Diese Attentate waren in mehrfacher Hinsicht besonders
schrecklich: sie rissen viele Menschen in den Tod und zerstörten die
Hoffnung, nach der Aufhebung des Belagerungszustandes in Ramallah und einer
sich abzeichnenden Lösung des Konflikts in Bethlehem könne sich die
Situation etwas entspannen. Stattdessen ist nun eine weitere kriegerische
Zuspitzung abzusehen, und genau das scheint, wie so oft schon, die Absicht
der Attentäter gewesen zu sein.
Doch nicht das war es, was Sie an diesem Abend beschäftigt hat. Vielmehr
zeigten Sie das Bild eines Attentäters, dessen mitgeführte Sprengladung
nicht explodiert war. Dieser wurde langsam mithilfe eines ferngesteuerten
Roboters über einen freien Platz geschleift. Dazu sagten Sie den Satz,
soweit sei die Menschenfeindlichkeit nun schon fortgeschritten. Angekommen
ist bei mir: unmenschliche Israelis...
Lassen Sie mich zunächst hinterfragen, was an der von Ihnen gezeigten
Filmsequenz tatsächlich schockierend wirkte. Es war ja nicht so (oder es war
nicht erkennbar), daß der palästinensische Attentäter physisch besonders
grausam behandelt worden wäre, indem man ihm etwa besondere Schmerzen
zugefügt hätte. Durch den Roboter wurde dieser lebendige Mensch allerdings
wie eine Bombe behandelt. In dieser Hinsicht hat uns diese Szene die
Wirklichkeit hart und kompromißlos vor Augen geführt. Aber diese
Wirklichkeit besteht nicht darin, daß israelische Sicherheitskräfte durch
ihr Vorgehen jenen Palästinenser zur Bombe degradiert hätten. Die
Wirklichkeit besteht darin, daß er sich selbst zur lebenden Bombe gemacht
hat. Erst durch das Bild des israelischen Roboters wird es einem drastisch
bewußt. Wenn Sie den Vorwurf der Unmenschlichkeit in diesem Fall an die
israelische Adresse richten, wie es jedenfalls bei mir ankam, so stellen Sie
Ursache und Wirkung auf den Kopf.
In noch viel größerem Maßstab stellen Sie Ursache und Wirkung auf den
Kopf,
indem Sie die Täter und Opfer dieses Tages vermischten. Sie haben in der
Sendung die israelischen Opfer nur beiläufig, nur als statistische Größe
erwähnt. Sie haben kein Bild der Explosionsorte gezeigt, sie haben zugunsten
der Roboter-Szene darauf verzichtet, das angerichtete Leid zu dokumentieren.
Nach meiner Erinnerung waren die Tagesthemen die einzige Nachrichtensendung,
die derart einseitig berichtet hat.
Daran mache ich eine deutliche Feindseligkeit gegenüber Israel fest und eine
deutliche Entschlossenheit, auch Situationen, an denen es nichts zu deuteln
gibt, propagandistisch so zu verarbeiten, daß um Verständnis für die
palästinensische Sache geworben wird.
Dagegen protestiere ich.
Darüber hinaus empfinde ich Ekel davor, daß diese
Propagandasendung Ihr Beitrag zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung von der
Naziherrschaft gewesen ist.
Es ist doch richtig, daß Sie als leitende Redakteurin im Studio die volle
Verantwortung dafür tragen? Zum ersten Mal habe ich bewußt mitbekommen, wie
Sie die Ihnen zur Verfügung stehende Macht ausgeübt haben. Sie haben Ihre
Zurückhaltung aufgegeben. Und mir schien, aber das mag ein subjektiver
Eindruck sein, daß Sie Ihren Job an diesem Abend insgesamt sehr viel
schlechter als gewöhnlich gemacht haben. So hat alles seinen Preis.
Mit freundlichen Grüssen,
Detlef zum Winkel, Frankfurt
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