Vor 60 Jahren:
Der Nürnberger ProzessVon Andrée Fischer-Marum
Markus Wolf gehörte zu den Berichterstattern
dieses internationalen Tribunals, weil er sowjetischer
Staatsbürger war – wegen der Emigration
seiner Eltern nach Moskau. Als Deutscher hätte
er den Prozess nie aus dieser Nähe erleben können.
Er war 22 Jahre alt, lieferte täglich zwei Berichte.
Es gab 403 offene Sitzungen, 240 Zeugenvernehmungen,
5300 Blätter Dokumente. Jetzt
nähert sich mit dem Nürnberger Prozess ein weiterer
Gedenktag in der Reihe der 60. Jahrestage.
Wolf sprach dazu im JKV.
Als Korrespondent der
nach dem Kriegsende in der SBZ neuen »Berliner
Zeitung« sowie des Berliner Rundfunks nahm er
bis zur Urteilsverkündung am Prozess teil und
sprach den abschließenden Kommentar, der über
alle deutschsprachigen Sender ging. Im JKV las er
ihn vor. Mitgebracht hatte er auch den Film, der
in der Erinnerungsstätte in Nürnberg gezeigt
wird, in dem Zeitzeugen wie er zu Wort kommen.
Nicht erfüllt habe sich die Hoffnung, dass solche
Verbrechen niemals wieder möglich sein werden.
Das zeigte sich schon, nachdem der Kalte Krieg
begonnen hatte. Wolf fiel damals auf, dass großbürgerliche
Zeitungen nach anfänglich umfangreicher
Berichterstattung immer weniger berichteten,
der Gegenstand der Berichterstattung immer
nebensächlicher wurde. Mit Querschüssen gegen
den Prozess begann die Sabotage des Potsdamer
Abkommens, wurde die Restaurierung Deutschlands
eingeleitet. Zu Beginn des Prozesses hatte
US-Ankläger Jackson betont, er müsse fair geführt
sein, Funktionsweise und Folgen des NSSystems
müssten nachgewiesen werden.
Seitens
der Anklage ging es um die Vorbereitung des Krieges,
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit. »Wir haben gegen Verbrecher gekämpft
und auf Sühne gewartet«, so Wolf über
diese Zeit. Und er war erstaunt – das blieb ihm
im auch Gedächtnis: Was war vom Protz der Nazis
übrig geblieben? Was saßen ihm da für kleine,
erbärmliche Figuren, was für feige Kreaturen gegenüber?
Niemand von diesen »Führern« wollte
etwas von den Verbrechen gewusst haben, niemand
wollte den Völkermord begangen haben. In
welchem Gegensatz waren da seine Genossen, die
er als Zeugen erlebte, antifaschistische Widerstandskämpfer,
die erhobenen Hauptes Zeugnis
ablegten. Wolf sah damals seine Hauptaufgabe
darin, dem deutschen Volk die Augen über die Ursachen
dieses katastrophalen Weges zu öffnen,
den es eingeschlagen hatte, und von dem es so
wenig wissen wollte.
Der Nürnberger Prozess begründete den Anfang
der Menschenrechte, die Magna Charta, nicht
perfekt, war aber ein Anfang und der Beginn eines
Internationalen Gerichtshofes. In Folge dieses
Prozesses wurde auch der IG-Farben-Prozess geführt.
Heutige Kriege würden nach Nürnberg unter
die Prozessanklage fallen. Das war auch Tenor
im nachfolgenden Gespräch über die Vergangenheit
und die Konsequenzen der Lehren.
8. Mai 1945 - 8. Mai 2005:
Nachsatz zur Vorgeschichte
Am 8. Mai 1945 endete mit der bedingungslosen
Kapitulation der Deutschen Wehrmacht der vom
Deutschen Reich zu verantwortende 2. Weltkrieg
und damit die nationalsozialistische Barbarei...
Eine zwiespältige Bilanz:
60. Jahrestag im Spannungsfeld von
Geschichte und Gegenwart
Vielleicht noch zu keinem Jahrestag der Befreiung gab es solch großes
Interesse, so viele Veranstaltungen, politische Kundgebungen,
Demonstrationen und Willensbekundungen von Bürgern dieses Landes, aber
auch von Seiten des Staates...
Rückblick:
Gedenktagtorschlusspanik
Angesichts einer spürbaren Gedenktagtorschlusspanik quoll das 60. Jahr
schon in den ersten Monaten ereignisgesättigt über den eigenen Tellerrand
hinaus...
Max
Mannheimer wurde von der Stadt München mit der Medaille in Gold
"München leuchtet - Den Freunden Münchens" für seine außergewöhnlichen
Verdienste um Aussöhnung und Toleranz geehrt.
Mannheimer, 1920 in Nordmähren geboren, überlebte die
Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz und Dachau. Er ist
Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau und unermüdlich in der
Aufklärungsarbeit über die Nazi-Zeit tätig, vor allem durch
Führungen im KZ Dachau und Vorträge vor Jugendlichen.
Die Jüdische
Korrespondenz als PDF
haGalil.com - 06-06-2005 |