Sehr geehrte Damen und Herren der im Abgeordnetenhaus vertretenen
Fraktionen!
In den letzten Tagen wurde in der Berliner Presse über die Vorschläge
für eine neue Sparliste des Senats berichtet. In den Amtsstuben der
Berliner Finanzsenatorin wurde geprüft, in welchen Bereichen Berlin höhere
Ausgaben hat als die anderen Bundesländer um in diesen Bereichen vorrangig
einzusparen.
Die Streichung der PrVG-Renten für die letzten politisch, rassisch und
religiöse Verfolgten wird in Erwägung gezogen. Wer eine solche Streichung
für diskutabel hält, verdrängt erneut das Wissen um die Lebensumstände der
meist hochbetagten, oft kranken Menschen und die Tatsache, daß eine solche
Rente nur aufgrund des Nachweises von persönlicher Verfolgung in den
Jahren 1933 bis 1945 beansprucht werden kann. Ferner ist Voraussetzung für
den Erhalt dieser Rentenzahlungen die soziale Situation der Empfänger, die
über keine andere Verfolgtenrente verfügen dürfen. Durch diese Zusatzrente
werden meist sehr kleine Renten aufgebessert. Als Folge wäre der Mehrzahl
der Menschen die Lebensgrundlage entzogen. Der von der Senatorin für
Finanzen erwartete Einspareffekt tritt überhaupt nicht ein, da die
betroffenen Opfer dann im wesentlichen von der Sozialhilfe des Landes
Berlin leben müssten, was ihnen eben durch dieses Gesetz erspart werden
sollte.
Auch wenn die Stadt Berlin hohe Schulden hat, so darf dieses Problem
keinesfalls auf dem Rücken der Holocaust-Überlebenden ausgetragen werden.
Wir weisen darauf hin, dass Nazijuristen und SS-Angehörige in der
Bundesrepublik (und in den baltischen Staaten) und deren Witwen - soweit
wir wissen - in der BRD niemals Sorge um ihre im Vergleich mit den Opfern
des Faschismus erheblich höheren Bezüge und Renten für die Jahre zwischen
1933 und 1945 haben mussten.
Außerdem erinnern wir daran, daß im Jahr 1998 der Berliner Senat den
Zuschuß in Höhe von 50 000 DM (fünfzigtausend) für die Beratungsstelle
ESRA ersatzlos gestrichen hat. Diese Einrichtung bot Beratung, Therapie
und psychosoziale Hilfsangebote für Überlebende des Holocaust sowie deren
Kinder an. Aufgrund dieser Streichung mußte der Verein ESRA Konkurs
anmelden. Auffallend war, daß in diesem Jahr - obwohl alle
Sozialeinrichtungen 10 %ige Streichungen ihres Etats in Kauf nehmen mußten
- der Etat für die Arbeit der Vertriebenenverbände in Höhe von 300 000 DM
(dreihunderttausend) in voller Höhe - ohne jegliche Streichung - erhalten
blieb.
Mit einer solchen Streichungspolitik setzen Sie sehr deutliche
politische Signale, die uns sehr nachdenklich machen. Die Unterzeichner
und Unterzeichnerinnen dieses Schreibens fordern Sie auf, von diesen
Plänen Abstand zu nehmen.